Mir ist schon klar dass dieser Beitrag in einem "Naturaquaristik"-Forum vielleicht etwas daneben ist. Ein Beitrag PRO Algen? Das ist ja wie seinen Henker zum Frühstück einladen ...
Dennoch möchte ich anregen, die "Algenproblematik" mal aus einer ganz anderen Sichtweise zu betrachten. Algen stellen in natürlichen Systemen den Großteil der pflanzlichen Biomasse. Dort sind sie alles andere als "schädlich", in vielen Gewässern sind sie sogar die einzigen Pflanzen und für die Fauna dieser Biotope überlebenswichtig.
Warum dann die Panik der Aquarianer schon beim bloßen Gedanken an Algen? Ich denke mal es hat mit dem Mangel an Kontrolle zu tun. Pflanzen lassen sich "kultivieren", ob nun im Vorgarten oder im Aquarium.
"Kultivieren" = "domestizieren" = "beherrschen" = "kontrollieren".
Da weiss man wer der Chef ist. Da kann man sagen: "Das habe ich geschaffen!"
Mit Algen ist das nicht so einfach. Algen sind die schwarzen Schafe in der Pflanzenbruderschaft, diejenigen, die sich der Kontrolle entziehen: Piraten sozusagen. Sie kommen scheinbar wann und wie es ihnen passt, einfach so, aus dem Nichts. Sie wachsen überall dort, wo man sie nicht haben will. Sie vernichten das "Werk" des Gärtners, wenn ihnen danach zumute ist. Ein unheimliches Gesindel. Scheinbar einzige Gegenmaßnahme: Mord und Totschlag. Notfalls mit chemischer Kriegsführung.
Es ginge vielleicht auch anders ...
Ich versuche derzeit, ein Aquarium aufzubauen dessen hauptsächliche Bepflanzung aus Algen besteht. Was soll ich sagen? Es ist spannend ohne Ende. Selten hat mir etwas so viel Spaß gemacht. Es gibt ja keine Anleitungen für sowas: Es gibt nur Anleitungen zur Vernichtung, zur Pflege dagegen ... nada. Also muss man experimentieren. Ein Hauch von "Jugend forscht" durchweht das Wohnzimmer (ok, ok, dafür bin ich zu alt, aber vom Prinzip). Man weiss nicht was dabei rauskommt, Scheitern ist inbegriffen und wird als notwendige Stufe akzeptiert. Und: Es dauert richtig lange. Ein lebendiges Beispiel für Entschleunigung.
Ok, genug gelabert. Wie sieht sowas aus? Noch etwas Geduld bitte ...
Ganz kurz noch ein paar Eckdaten und ein paar Worte zur Einrichtung. Es handelt sich um ein Standard-96l-Aquarium, Plastikrahmen, Abdeckung mit integrierter 18W-Leuchtstoffröhre. Gefiltert wird über einen HMF, angetrieben von einem umgebauten 500l/h Tetratech Innenfilter. Der HMF ist als "negatives Eck" ausgeführt und geht nahtlos in eine weitere, als bepflanzbare ("veralgbare") Rückwand genutzte Filtermatte über. Die Matte wurde mit Tee eingefärbt, um das scheußliche Toilettenblau zu mildern. Eine BIO-CO2-Anlage mit Paffrathschem Butterdosendeckel vervollständigt das System. Gedüngt wird täglich mit Ferrdrakon.
Die Einrichtung: Sand direkt von der Sandgrube. Irrsinnig hoher Schluffanteil, habe ewig gespült, letztlich aufgegeben. Sch...egal.
Die Sieblinie des Sandes ist laut allgemeiner Auffassung denkbar ungünstig, da äusserst uneinheitlich. Sch...egal.
Die "Wurzeln": Kiefernäste aus dem Wald, monatelang in der Regentonne gewässert.
Steine: Kalksinter aus dem Quellbereich eines sehr kalkhaltigen Baches (ich wohne in einem Karstgebiet), leicht abgebürstet, Algen und Moos blieben z.T. dran.
Ordentlich Laub und Erlenzäpfchen, demnächst ziehen nämlich ein paar Macrobrachium lanchesteri ein.
Ja, ich habe den Aufschrei gehört. "Kalkstein! Das härtet auf!" Pfff ... wieder so ne pauschale Panikmache. Es kommt halt drauf an. Üblicherweise stellen die Stadtwerke das Wasser so ein, dass es sich in einem Lösungsgleichgewicht bezüglich Kalk befindet. Eigentlich braucht man dieses Verhältnis ja "nur" beizubehalten, dann kann man auch Kalkstein im Aquarium verwenden, ohne Anstieg der KH. Allerdings ist das Thema "Lösungsgleichgewicht" sehr komplex, mit Berechnung ist da nix. Also Experiment ...
Und was ist passiert?
Ausgangswasser: 21 GH, 19 KH, PH 7,8
Jetzt, nach 8 Wochen (seit 3 Wochen wöchentliche 50% TWW):
15 GH, 9 KH, PH 6,5 (stabile Werte seit ca. 4 Wochen).
Go figure ... eine Erklärung ist bisher nicht so richtig in Sicht. Ich nahm das Ergebnis erfreut zur Kenntnis und hab meine Garnelen bestellt.
Das erste was die langsam wachsende Algenpopulation gemacht hat: Sie haben aus Protest gegen den CO2-Mangel angefangen biogen zu entkalken - und zwar massiv. Daher war ich gezwungen, eine CO2-Versorgung ranzuhängen.
Auf den Steinen befanden sich Moosreste, welche wider Erwarten unter Wasser weiterwuchsen. Muss wohl Quellmoos sein. Das war nicht eingeplant, aber what shalls. Die Zeit wird zeigen ob die Algen oder das Moos das Rennen machen oder ob eine friedliche Koexistenz möglich ist. Bis jetzt wächst alles wild durcheinander.
Und: Hydren-Invasion. Hunderte. Haben innerhalb weniger Tage die Massen von Hüpferlingen etc. vertilgt. Jetzt wird die Population wohl einbrechen. Nicht dass sie mich stören, im Gegenteil: Es sind sehr schöne und interessante Tiere. Mal sehen wie sie sich entwickeln.
Oh, ich vergaß: Ich habe eine Mooskugel zerpflückt und teilweise in Steinspalten geklemmt. Mal sehen ob sie anwächst.
Aber jetzt endgültig Schluss mit der Laberei, hier sind ein paar Bilder von heute: