Hallo,
das was diese ganzen Systematisierungen so verwirrend und uneinheitlich macht, liegt auch an den unterschiedlichen Sortierkriterien, die im Laufe der Zeit und je nach Autor bevorzugt wurden, um so was wie eine Ordnung in die Vielfalt der Lebewesen zu bringen. So wie PKW + Motorrad nach dem Antrieb oder Motorrad + Fahrrad nach der Räderzahl zusammengefasst werden können, oder eine Querflöte aus Metall als Holzblasinstrument gilt, wegen der historischen Vorläufer… und so finden wir auch in Büchern über biologische Systematik sozusagen eine historisch gewachsene, verwirrende Vielfalt von Klassifizierungen. Es ordnet auch niemand verbindlich an, wie was zu definieren und zu benennen ist. Was publiziert wird, sind letztlich Vorschläge und werden von anderen akzeptiert oder nicht, je nachdem als wie plausibel und gut begründet sie angesehen werden. Da wird auch ein Name wie "Pflanze" je nach Autor in unterschiedlichstem Sinn gebraucht, man müsste dann wohl sagen "Pflanze im Sinne von XY". Und auch wenn man eine Systematisierung wiedergibt, ist es gut, die Quelle bzw. den Autor anzugeben.
Ursprünglich stand hinter dem Klassifizieren - als Linné seine feststehenden Kategorien wie Reich, Stamm, Klasse, Ordnung usw. aufstellte - auch kein Evolutionsgedanke. In der Zeit nach Darwin hat man dann versucht, diese ineinander geschachtelten Schubladen als Gruppen gleicher Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren und/oder gleicher Evolutionshöhe aufzufassen. Beides - Abstammungsbeziehungen und Entwicklungshöhe - sind unterschiedliche Kriterien, und der Versuch, beides in der Systematik zu berücksichtigen, führte immer zu Konflikten.
Z.B. ist eine fädige Grünalge wie Cladophora in ihrer Chlorophyllzusammensetzung, den Zellwandmaterialien usw. her den "höheren" Pflanzen viel ähnlicher (und wird heute auch mit diesen zu den von Ecki erwähnten Viridiplantae oder Viridaeplantae gestellt) als einer Rotalge wie der Pinselalge. Aber von der Lebensform und der "Entwicklungshöhe" her sind Cladophora und Pinselalge einander ähnlicher als den "höheren" Pflanzen, und in der Ökologie oder auch Aquaristik macht es Sinn, beide als "Algen" zusammenzufassen u. von "höheren" Pfl. zu unterscheiden.
Oder die Wasserlinsen: es ist sicher, dass sie stark reduzierte Blütenpflanzen u. damit "höhere" Pflanzen sind. Am stärksten reduziert ist Wolffia - nix mehr mit Stengel, Blatt u. Wurzel, nur noch runde Zellklumpen. Wenn keine Blüten u. Samen u. damit auch keine Indizien für die Abstammung von ihr bekannt wären, würde sie wohl als "primitive" Pflanze durchgehen.
Es gibt auch einige Seetange, die komplex aufgebaut sind und differenzierte Organe u. Gewebe haben, aber sie gehören zu den Braunalgen und sind nicht näher mit den "höheren" Pflanzen, sondern mit den einzelligen Kiesel- und Goldalgen verwandt.
Heute versucht man die Systematik konsequent logisch aufzuziehen und geht nur nach wahrscheinlichen stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Beziehungen. So was wie Entwicklungshöhe wird außen vor gelassen. Die Verwandtschaftshypothesen werden dann in Form von Stammbäumen dargestellt. Solche Stammbäume werden nach bestimmten, immer weiter entwickelten Methoden aus Merkmals-Datensätzen (heute meistens, aber nicht nur, DNA-Sequenzen) ermittelt. Alles was man als eine Verwandtschaftsgruppe benennt, soll möglichst monophyletisch sein, das heißt, auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen sein, der nicht gleichzeitig der Vorfahre anderer Arten oder Gruppen ist. Das führt seit einigen Jahren zu großen Umwälzungen in der Systematik, weil ein Großteil der "klassischen" systematischen Gruppen keinen natürlichen Verwandtschaftsgruppen entspricht.
Dabei gibt es aber immer das Problem, wie man die neu gefundenen Verwandtschaftsgruppen benennt. Hochrangige Kategorien wie Reich, Stamm, Klasse usw. zu verwenden, ist ziemlich subjektiv und willkürlich, so dass man darauf heute oft verzichtet. Man bräuchte dann auch unzählige Zwischenkategorien. Daher verwenden die Systematiker oft informelle Namen ohne festgelegten Rang.
Niedere Kategorien - Ordnung, Familie, Art - werden aber nach wie vor verwendet und haben sich bewährt.
Im "Tree of Life Project" versucht man, alle aktuellen systematischen Forschungsergebnisse zusammenzufassen und als einen "Stammbaum des Lebens" darzustellen:
http://tolweb.org/tree/
Sogar die Prokaryoten werden heute nicht mehr einfach den Eukaryoten gegenübergestellt, weil nach DNA-Analysen die Archaea (Archaebakterien), vom Bau her Prokaryoten, wahrscheinlich mit den Eukaryoten enger verwandt sind als mit den viel ähnlicheren eigentlichen Bakterien (einschließlich Cyanos). Demnach stellen die Prokaryoten einen Entwicklungsgrad dar, keine Verwandtschaftsgruppe. Aber wie nun die neuen Gruppen benennen…
Gruß
Heiko